25. Juni 2019: Die neue B96 auf Rügen ist fertig . Angeschlossen an die Rügenbrücke führt sie direkt bis nach Bergen. Der Weg für den Massentourismus ist frei.
Ich immer dicht dran. Da sagt mir ein Bauarbeiter: „Sie können hier nicht mit Ihrem Auto auf der neuen Straße stehen!“ – „Wieso?“ – „Na die geht kaputt, die ist noch heiß, oder was denken Sie, warum wir auf dem Radweg fahren?“ – „Okay, das wusste ich nicht, DANKE!“ Und dann war ich aber schnell weg. Hab mehr an meine Reifen gedacht, als an die Straße. Tja, so ist das.
Selten wurde auf der Insel Rügen so viel diskutiert, wie über die neue Bundesstraße mit dem Zaubernamen „B 96 n“ Ja gut, vorher war da noch das Diskussionsthema „Rügenbrücke“, die am 20. Oktober 2007 mit einer riesigen Party eröffnet wurde.
Und alles sollte schneller gehen. Die Einen wollten es unbedingt, die Anderen sträubten sich mit allen Mitteln dagegen. Verzögerung gelungen, aber nicht die Verhinderung. Meist wollten die Verhinderung diejenigen, die irgendwo im Grünen wohnen und vom Verkehrschaos nicht direkt tangiert wurden oder werden. Aber NUTZEN und sich drüber freuen- das tun sie allemal! Das ist so, wie wenn ich sage: „Ich werde niemals eine Frau vergewaltigen“. Dann lass ich das auch. Aber viele Jahre lang irgendwelche notwendigen Bauvorhaben boykottieren – und sie nach Fertigstellung doch nutzen, das ist wie: „Vergewaltige ich doch!“ Warum fahren die nicht mit ihren Fahrrädern über Trampelpfade, oder gehen zu Fuß? Nein, sie nutzen DAS, wogegen sie waren. Das ist in meinen Augen nicht konsequent. Vergewaltigung am Rest der Menschheit ist das. Und sie tun so, als ob die ganze Insel versaut würde. Aus einem Flugzeug, aus ein paar Metern höher betrachtet, ist das alles nix! Da schlängeln sich der alte Rügendamm und die neue Brücke nebeneinander wie Drahtseile durch die Landschaft. Ich habs ja gesehen.
Also einsteigen bitte.
So sieht das also aus:
Hiddensee im Ganzen:
Na ja, und das ist dann eben die BÖSE GROSSE Rügenbrücke. Die anhängende Straße macht die Insel nicht wirklich kaputt. Sie hilft nur, runde 36.000 Stunden (!) Abgase stehender Stauautos PRO TAG zu verhindern. Die sollen ja auch fahren und nicht stehen!
Wie dem auch sei:
Bisher hat die neue Brücke den Stau der Urlauber (über 30.000 Autos pro Tag, die dann bei schlechtem Wetter wieder nach Stralsund reisen, um Museen zu besuchen und wieder zurück) nur verschoben.
Standen die Autos in Stralsund im Stau, weil ab und zu die Zugbrücke auf dem Rügendamm für den Schiffsverkehr öffnete, ließen sich die staugeplagten Autofahrer von den Staumädchen die „Rügenbüdl“ aushändigen, mit Flyern, Informationen, Produktproben… Wartezeit verkürzt, erträglich gemacht. Aber dann, nach Eröffnung der neuen Brücke, war die nächste Hürde noch nicht weg: Die Ampel in Samtens. Ständig hat sie ewig rot, weil die Bahnschranken schließen – und Dank der Rügenbrücke war ja freie Fahrt. Bis dahin. Der Stau hatte sich nur verlagert von Stralsund nach Samtens und reichte nicht selten 5 km bis nach Rambin zurück. An absoluten Anreisetagen auch gerne bis weit hinter Stralsund…
Ja Stau. Für Urlauber leider geil. Für die, die hier wohnen und arbeiten müssen… leider nicht.
Die neue Straße, die „B 96 n“ wurde also von allen Betroffenen sehnlichst erwartet. Und sollte ja zum Gesamtprojekt dazugehören. Jetzt ist sie fertig. Also die ersten zwei Drittel – zumindest an der Nerv-Ampel in Samtens vorbei… und wird irgendwann bis Bergen führen.
Jaaaaaa, endlich fertig! Und alle kotzen!
Am meisten der gesamte Ort Rambin. Der ist da, wo die Kirchturmspitze steht. Und alle fahren dran vorbei. Geht ja nicht anders. Bisher waren nur die direkten Anwohner an der alten B 96 genervt, die direkt durch den Ort führt. Dann, wenn eben all diese Touristenautos, LKW’s …. (und die ganzen Baulaster während der Bauphase) quasi durch das Schlafzimmer fuhren. Die Anwohner mit den Häusern waren die Schallschutzwand für den Ort. Jetzt ist das anders. Gerecht verteilt. Jetzt fahren (und ich hab das von einer Brücke aus nachgezählt) von 100 Autos 80 auf der neuen Straße. Und die „fetzt“! Die ist auf der Höhe Rambin runde 200 Meter von der alten Straße entfernt. Ansonsten führt sie direkt neben der alten Straße und der Bahnschiene entlang. Und: Da darf man schnell fahren! Okay, es rubbelt ein bisschen. Da fällt Dir schon mal die Kaffeetasse vom Armaturenbrett oder die Rückspiegel beginnen zu vibrieren. Weil: Ausgerechnet kurz vor Rambin endet der Luxus, auf Asphalt zu fahren. Genau hier.
Dann kommt – ausgerechnet ab dem Punkt, wo Menschen wohnen: Beton! Schnell gemacht. Schlecht gemacht. „Brüllbeton“ heißt es hier. Und weil die Autos nicht mit 50 kmh da lang fahren, weil sie 100 dürfen, fahren sie – na ja, einer hat das mal versucht – auf der alten Straße nebenher zu fahren – bei 137 hat er aufgehört, wegen seinem Führerschein… die anderen waren schneller! Und die Schallgeräusche brüllen nun ins ganze Dorf. Die Dezibelgrenze wird chronisch um etwa 100 Prozent überschritten. Auch nachts. Alle kotzen! Es ist eine Rauschglocke, die je nach Windrichtung mehr oder weniger über dem ganzen Dorf lagert. Selbst am fast 2 km entfernten Bodden ist das Rauschen zu hören. Bei südlichen Winden und Windstille.
Für mich ist es besser als vorher. Weil vorher selbst bei geschlossenen Fenstern keine Ruhe war. Und die Vibrationen der LKW waren Tag und Nacht zu spüren. Bei offenen Fenstern ließ sich der Lärm nur mit Ohrschützern ertragen. Jetzt verteilt sich das gleichmäßig und für mich ist es leiser. Sehr schön! Sehr gerecht. Bekommen die Anderen auch was ab. Und meckern…. Ja, da brüllt das Dorf zurück. Plötzlich.
Ach so, bevor ich es vergesse: 100 km/h ist erlaubt! Knapp 1000 Autofahrer haben schon richtig gelöhnt, vielleicht gar keinen Führerschein mehr… In diesen paar Tagen seit Anbeginn des Jahres. ACHTUNG! Der Videowagen ist echt aktiv! Versaut Euch den Urlaub nicht und macht nicht mehr Lärm als nötig! Also nur mal zum Spaß auf der weißen Riffellinie langfahren, das klingt für Anwohner wie Schlagbohrmaschine….
Eine von vornherein geforderte Lärmschutzwand gibt es nicht. Flüsterasphalt auch nicht. „Wir wurden übergangen“ sagt der Bürgermeister.
Ach so, an dieser Stelle sei es erwähnt, dass es eine Holzschutzwand gibt, die nur dafür vorgesehen war, die Vögel vor der Baustelle zu schonen. Diese Wand reflektiert die Fahrgeräusche zusätzlich ins Dorf.
Lustig war allerdings der Blick aus dem Fenster, eines Tages… ich musste mir erst die Brille aufsetzen, weil ich ja der EINZIGE bin, der aus seinem Bett das so sehen kann:
Danke!
Okay. Schmierfinken nutzten sie auch. Seit 20. März soll diese Wand weg sein. Wir schreiben heute den 23. Mai. Sie steht…, obwohl die Baustelle seit 8. Dezember nicht mehr existiert.
Der Hut geht am Ende des Artikels um. Ich hoffe, er gefällt Dir.
Also kotzen weiter:
Der ADAC, bzw. ihm angeschlossene Unternehmen aus Stralsund: „Wenn auf der neuen Straße einer aus Richtung Samtens bei Rambin eine Panne hat, müssen wir erst nach Samtens fahren und wieder zurück…. Die Rambiner Feuerwehr: „Wenn jetzt hier auf der neuen Straße ein Unfall ist, „WIE KOMMEN WIR DAHIN?“ Die Frage ist berechtigt, weil Rambin keine eigene Abfahrt hat. Es gibt auch keinen einzigen Grund, nach Rambin zu fahren. Und Anwohner kennen den anderen Weg.
Aber es geht weiter: Eine Baustelle jagt die Andere. Nach 25 Jahren wurde auch der Radweg entlang der B 96 (die heißt jetzt L 296) von Altefähr bis Samtens gebaut. Letztlich soll er bis Bergen weiterführen. Vorher hätten wir ihn dringend gebraucht, jetzt, wo mich der eine Traktor auch nicht umfährt, ist er da. Auch dafür wurden Bäume gefällt! Ihr Grünen! Die Straße geht übers Feld, der Radweg durch ein Wäldchen…. also ein 20 Meter breiter Streifen davon ist mal eben weg.
Gut, im letzten Jahr wurde der Radweg im Ort Rambin auch gebaut. Außer in der Mitte des Ortes. Monate lang eine halbseitige Sperrung und Stau ohne Ende. Der mittlere Teil folgt also jetzt, 2016. Wenigstens ist die neue Straße fertig und der meiste Verkehr weg. (Als hätte man das nicht gleich alles dieses Jahr machen können.)
Aber: Eins haben sie gemacht, und DAS richtig gut! Die Flickschusterei beseitigt. Die alte B 96 wurde abgefräst und neu asphaltiert. Sie ist jetzt schön! Und gerade! Die Jungs haben sich richtig Mühe gegeben. Und kein Brüllbeton! Ja, DIESE Straße ist heiß! Da wachsen 2016 am Ortseingang Rambin rechts (aus Samtens kommend) auch noch paar Sonnenblumen zur Begrüßung, falls sie keiner klaut oder sinnlos abmäht. Und wenn die Zeit eben reif ist. Das hab ich mir erlaubt.
Okay, sag ich mal so am 29. Juni: Alle Sonnenblumen sind weg. Eine steht noch, ganz kurz vor dem Schild. Da hat wohl am Siebenschläfertag auch der "Rasenmähernazi" geschlafen. Klar, da standen Sonnenblumen. Von Gras und Wildwuchs nichts zu sehen. Logisch, wenn der Straßenrand erst vor paar Wochen neu angelegt wurde.
(So, oder so ähnlich hätte es ausgesehen zum Schluss)
Und hätte ich mich in den Weg gestellt (ich war nur gerade weg), der hätte mich glatt mit umgemäht. Jedenfalls: Nix Freude an schönen Sonnenblumen für Tausende Touristen und Einheimische…. Vergebene Liebes-Mühe eben. Schade!
Und hier noch paar Impressionen und Fakten:
Eins ist sicher: Die neue Straße soll – genau wie die Rügenbrücke – runde 100 Jahre Dienst tun. Die Menschen – und eine gegründete Bürgerinitiative werden nicht eher ruhen, bis Ruhe ist in Rambin. Das wird jetzt schwierig, nachträglich etwas zu verändern. „Aber wenn Ihr nicht wisst, wie Ihr es korrigieren wollt, warum macht Ihr es dann nicht gleich richtig“, lautet der Vorwurf an die DEGES. Tja, da Spielen Geld und Eile eine wichtige Rolle.
Die neue Straße entlastet aber auch spürbar den Verkehr auf der alten Straße. Da macht Reisen jetzt Freude. Die Staus zu fast jeder Tageszeit sind Geschichte und die damit verbundenen Auffahrunfälle hoffentlich auch.
Kommen Sie gut an Ihr Ziel!
Zahlen: +++ Baubeginn im Juli 2011 +++ Eröffnung bis Samtens: 8. Dezember 2015 +++ ursprünglich geplante Gesamtkosten (bis Bergen) etwa 80 Mio Euro, das hat nicht einmal für die zwei Drittel bis Samtens gereicht +++ Neu geplante Gesamtkosten: 151,6 Mio Euro, davon für den Radweg 4,1 Mio, für den Grunderwerb 7,7 Mio Euro +++ Nach Fertigstellung bis Bergen gibt es drei Anschluss-Stellen, 17 Brücken, 1 Wildbrücke, 15 Tierquerungshilfen für Amphibien und Kleintierdurchlässe +++
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Postscriptum:
♦ 04. Juni 2016: Nach den heftigen Beschwerden der Anwohner steht jetzt, nicht mal ein halbes Jahr nach Eröffnung, fest, dass der Beton jetzt eine Asphaltschicht bekommt, die Lärm mindernd sein soll. Das soll im Herbst geschehen.
♦ 17. Juli 2016: Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt den symbolischen Spatenstich für den zweiten Bauabschnitt der Schnellstraße B 96n auf Rügen. Die 7 km lange Strecke soll 56 Millionen Euro kosten, führt von Samtens nach Bergen und soll Mitte 2019 fertig sein.
♦ Sommer 2016: Die nervige Holzwand entlang der Straße ist inzwischen verschwunden
♦ 18. Oktober: Nix Asphalt im Herbst, wie angekündigt. Im Jahr 2016 passiert NICHTS mehr mit Lärmschutz, außer Geschwätz, ob nun Asphalt oder doch lieber eine Lärmschutzwand…
♦ 1. November: Mir reichts! Schreiben kann ich nur in RUHE. Ich bin dann mal weg. Forever!
Adios, Rambin!
♦ 2018 – das Jahr ist gelaufen, getan hat sich wegen dem Lärmschutz noch nichts. Kein Flüsterasphalt, keine Lärmschutzwand… NICHTS.
♦ Mai 2019 – Die Straße ist bis Bergen fertig und wird im Juni offiziell eröffnet. Am fehlenden Lärmschutz bei Rambin hat sich bis heute nichts geändert.
Fotos: © Marius Jaster